Texte über den Kunstbetrieb
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Texte zu: Was ist Kunst? Was ist ein Bild?

Jung sterben – der Kunstbetrieb
Vortrag von Bogomir Ecker anlässlich des Symposions "Blindflug – wohin steuert der Kunstbetrieb", Kunstverein Hannover, 20.04.2002

Es gibt erstaunlicherweise
nicht allzu viele Verrückte und Philanthropen in dem Kunstbetrieb. Die Phantasieentwicklung ist mehr der Börse vergleichbar geworden, bei der Geschwindigkeit, Effizienz, also hochgradige Spekulationen über künstlerische Entwicklungen befördert werden. Jüngere Künstler, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen, verstehen dieses System eigentlich ziemlich schnell und versuchen mit verschiedenen Strategien sich auf ihre Möglichkeiten einzustellen. Die Halbwertzeit wird immer kürzer und das Verfallsdatum droht beständig.

Es ist zu beobachten, dass zwischen dem Eintreten in die Kunstöffentlichkeit den Künstlerinnen und Künstlern vielleicht 4 Jahre, wenn´s gut läuft 6 - 8 Jahre, verbleiben. In dieser Zeit muss die künstlerische Produktion und die gleichzeitige
Verankerung bei Sammlern, bei den Kuratoren und Museen erfolgt sein. Wer's in dieser Zeit nicht schafft, schafft's nimmer mehr.

Aber es gibt durchaus Künstler und vor allem Galeristen, die diesen reduzierten Horizont, diese Horizontverkürzung in Ordnung finden und als etwas Typisches dieser Gesellschaft ansehen, an dem man nichts ändern könnte. Auf diese Weise wird die wesentliche
Zeit der grundsätzlichen Formulierung einer Werkentwicklung äußerst knapp. Für uneffektive Verrücktheiten, für abschweifige Verliebtheiten, für Nebenspuren gibt es eigentlich keinen Platz.

Viele interessante junge Künstler werden durch diese Beschleunigung verbrannt, ihrer Zeit beraubt und sind danach zumeist künstlerisch erledigt und teilweise chancenlos. Sie merken dann doch trotz aller Finesse nicht, dass ihre kurzfristige Hochzeit letztendlich ihre Beerdigung war, die dann allerdings nicht schlecht bezahlt wird. Gute Beerdigungen sind zwar ergreifend, das Problem ist nur, dass danach nichts mehr kommt. Das zeitgenössische Kunstsystem hat dadurch ziemlich viele Leichen im Keller angestaut.

Das Ganze mutet an wie ein künstlerisches Overkill-System, es ist wie beim
Durchlauferhitzer, heiß machen und schnell durchschießen, und es ist scheinbar den Beteiligten trotz Erkenntnis der Lage schwer möglich auf die Bremse zu treten. Allerdings sind die Rollenzuschreibungen selten stabil, es werden zwischen Opfern und Tätern in diesem zugegebenermaßen aufregenden Spiel ständig die Rollen vertauscht. Das Schlimmste und Riskanteste, was einem jungen Künstler, einer jungen Künstlerin heute passieren kann, zumindest aus künstlerischer Sicht, ist ein derartig flächendeckender früher Erfolg. Wenn sie Glück haben, können sie etwas Zeit herausschinden, was nicht einfach zu bewerkstelligen ist.

Diese frühzeitige Kalkulierbarkeit von künstlerischen Werken, ihr
effektiver Einsatz in ganz bestimmten gesellschaftlichen Milieus ist eine strategische Arbeit für alle Beteiligten geworden, vergleichbar militärischen Operationen und Eroberungen. Außerdem haben fast alle erfolgreichen Künstler die ich kenne darin ein instinktsicheres Talent. Neben ihrer künstlerischen Leistung selbstverständlich liegt darin ein wesentlicher Grund für ihren Erfolg. Es gibt sogar Fälle, bei denen ich diese strategische Leistung mit einer gewissen sportlichen Anerkennung höher einschätze als deren tatsächliche künstlerische Leistung.

Es geht um
Berechenbarkeit und scheinbar genügen nur wenige punktuelle Eingriffe, es müssen eben die Richtigen sein, um etwas mittelfristig zu positionieren. Dabei kommt in dem Geflecht von Kuratoren, Galerien und Sammlern, den großen Auktionshäusern wie Christi`s und Sotheby`s eine immer größere strategische Bedeutung zu. Die Macht der Auktionshäuser ist riesig geworden. Auktionshäuser sind Betrugshäuser. Bei Auktionen wird der Wert eines Kunstwerkes, werden die Preise immer manipuliert, entweder kosten die Werke dort zuviel oder sie werden verramscht.

Das ist der eigentliche
Trick. Das ist der Nerv, der gekitzelt wird. Aus einem Sekundärmarkt ist im Laufe der letzten 25 Jahre kontinuierlich ein Primärmarkt geworden, der sehr bestimmend ist und über die großen Karrieren entscheidet.

Die Museen, die Kunstwissenschaftler, deren Aufgabe es bisher war, selbst zu entscheiden, welchen Künstlern und Werken sie
Bedeutung zumessen, sind gewissermaßen entmachtet, denn sie laufen größtenteils hinterher. Sie agieren nicht, wie es ihre Aufgabe wäre, sie reagieren. Nur wer sich im System dieser großen Auktionshäuser mit ihren geschickten und trickreichen Werbekampagnen, mit ihren Zulieferanten, mit den strategisch verdeckten Übernahmen oder Beteiligungen an Galerien oder Kunstzeitungen mit einbeziehen kann, ist langfristig überlebensfähig oder macht zumindest kurzfristig das große Geld.

Wir wissen es doch alle, vieles ist halbverdeckt, vieles spielt sich in Grauzonen ab, es gibt natürlich Absprachen und es gibt natürlich Kartelle und somit Ausgrenzungen, nicht nur von Künstlern, sondern auch von Kuratoren und Galerien, die nur rein
machtpolitisch zu erklären sind. Mit qualitativen und ästhetischen Wertentscheidungen haben diese Absprachen dann nichts zu tun. Das Ganze ist doch ein kleines, trübes Haifischbecken mit viel zu vielen Haifischen darin, es wird gekämpft und weggebissen wo man nur kann. Die hohe Population plus Enge macht das Problem.

Gleichzeitig gibt es, und das ist eigentlich das Schlimmste, weil es unverzeihlich ist, einen lethargischen Konformismus unter vielen Kuratoren, die sich aus Bequemlichkeit und Schlampigkeit mit dem allen abgefunden haben oder zu Berufszynikern geworden sind. Es existiert wenig Wagemut, eine mangelnde intellektuelle Lust oder intellektueller Sportsgeist, wenn man so will zur Überprüfung von kulturellen Verabredungen oder zur Überprüfung von künstlerischen Phänomenen, die etwas abseits der Hauptstraße oder der Belle Etage liegen.

Rückblickend betrachtet hat das Kunstsystem in den letzten 25 Jahren einen explosionsartigen
Zuwachs erlebt, und durch diese gesellschaftliche Verbreiterung eine wesentliche Distanz verloren. Eine ganz bestimmte existenzielle Reibung zwischen einem intellektuellen künstlerischem Milieu und der Gesellschaft hat sich verändert. Ein kritisch distanziertes Kunstmilieu, im Sinne eines „anderen“ Weltentwurfs, hat ein selbst gewähltes Inseldasein aufgegeben und andererseits hat eine restriktive Gesellschaft, befördert durch die Massenmedien, sich dafür um künstlerische Deko-Elemente insgesamt angereichert. Die Grenzen sind weitgehend aufgelöst. Es hat somit formal eine neutralisierende Angleichung stattgefunden.

Das Kunstsystem hat sich mit anderen Worten endgültig in seiner Gesamtheit an den Rest der Gesellschaft, an die Mechanismen dieses wirtschaftlichen Systems komplett angekoppelt. Es gibt dazu kaum eine Differenz mehr. Das Raumschiff Enterprise ist gelandet und bleibt vorerst flugunfähig.


Um den Kunstbetrieb zu verstehen, muss man sich also die Gesellschaft ansehen.

Die Künstler arbeiten fleißig und die Szene ist geprägt von
kleinbürgerlichen Aufsteigerträumen, es schimmert immer noch diese spezielle Goldgräberstimmung in den Köpfen. Der Künstler seinerseits scheint vom Stigma des unbequemen Außenseiters befreit zu sein und steht nun mitten im Leben. Er wird Trendsetter für Lebensgefühle und Propagandist für ästhetische Formvorstellungen. Der aus dem Humanismus und der Romantik kommende Geniekult einer bürgerlichen Gesellschaft ist endgültig abgelöst durch das Starsystem.

Der Star mit all seinen oberzickigen Allüren ist ein
Leitbild geworden. Jeder Mensch sollte für wenigstens 15 Minuten ein Star sein, es war wieder einmal unser Andy Warhol, der dieses Verfahren bereits vorweggenommen formuliert hatte. Der Künstler steht im Dienste einer gewissen Animations- und Beseelungsarbeit. Die Erfolgreichsten unter uns tauchen sogar in den Klatschspalten der Yellow Press auf oder dürfen sogar Werbung für Kleider und Anzüge machen. Das ist die eine Seite und unschuldig ist sowieso niemand.

Aber es gibt noch einen Rest, sogar bei den Protagonisten dieses hochgekochten Kunstbetriebes. Und diese an vielen Stellen abgelagerte Restmenge erscheint mir interessant zu sein, oder anders betrachtet: ich zitiere an dieser Stelle Adorno: "
Man dürfe sich weder von der Macht der Anderen, noch der eigenen partiellen Ohnmacht dumm machen lassen."


Lassen Sie mich konkreter werden und gestatten Sie mir nun, dass ich von mir rede.

Ich glaube, dass mich in meiner künstlerischen Existenz stets mein Interesse für die Dinge, die am Rande meiner eigentlichen plastischen Arbeit lagen, dass mich diese Aufmerksamkeit letztendlich immer vor diesem Kunstmilieu gerettet und mich künstlerisch dabei aber weitergetrieben hat. Ich möchte einige Dinge aufzählen: Meteoriten, Höhlenzeichnungen, Ohren, Lautsprecher, Roboter, tantristische Zeichnungen, unterirdische Teilchenbeschleunig- eranlagen, frühzeitliche Techniksysteme, wie zum Beispiel das Morsen, die Unschärfe der Fotografie bis ca. 1930, Ampelanlagen, Straßengullies, das Werk Athanasius Kirchers.

Eigenartiger Weise habe ich mich immer gerne
von Randerscheinungen ablenken lassen. Ohne dieses Interesse, wie beispielsweise für bestimmte naturwissenschaftliche Phänomene, wäre ich als Künstler, so denke ich, gar nicht mehr vorhanden.

Auch so etwas scheinbar
Abwegiges wie beispielsweise die Untersuchung von Abstraktionen bei tantristischen Diagrammen während längerer Aufenthalte im Himalaja, die ich vor einiger Zeit unternahm, hat mich an einem bestimmten Punkt meiner künstlerischen Biografie gerettet. Ebenso eine, meine Psyche fast gefährdende konsequent nur nächtliche zweijährige Arbeit mit giftiger Phosphorfarbe an abseitigen Orten im urbanen Milieu von Paris hat mich nicht, wie ich zuerst dachte, aus der Kunst heraus gebracht, sondern mitten in sie hinein.

Wer den Kunstbetrieb zu ernst nimmt, der ist langfristig verloren. Wer den Kunstbetrieb ernst nimmt, der hat eigentlich immer nur schlechte Laune.


Der Kunstbetrieb ist die größte Dichte an schlechter Laune, die man sich überhaupt vorstellen kann.

Hätte ich, als ich Anfang der 80er Jahre meine erste Ausstellung nachts in einer 1000 qm großen leer stehenden Industriehalle
selbst organisiert habe, den damaligen Kunstbetrieb wirklich ernst genommen, wäre es nicht zu dieser ersten, für meine künstlerische Existenz gründenden Aktivität gekommen. Es hätte für mich nicht diese elementare Erfahrung gegeben: Dass es nämlich nichts nützt zu jammern und zu warten und dass es sehr wohl möglich ist, vorbei an allen Institutionen, vorbei an herrschenden ästhetischen Paradigmen, an allen Systemschaltern vorbei, die eigene Arbeit selbst zu veröffentlichen.

Derart
selbst zu veröffentlichen, dass sie wahrgenommen wird und eine gewisse Wirkung zeigt. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Die Möglichkeit und Strategien dies zu tun verändern sich allerdings und jede Generation muss diese Handlungsmöglichkeit immer wieder neu erfinden. Ein derartiges Urerlebnis, das immer geprägt ist von Kompetenzüberschreitung und Überforderung, ist es, das man, glaube ich, als Künstler braucht. Es genügt vollkommen, dieses einmal erlebt zu haben. Der große Rest ist Zähigkeit, Sturheit und eine gewisse Ignoranz.

Aber mit dem Mythos des einsamen Künstlers ist trotzdem nichts anzufangen. Auch dies ist ein Betrug. Mitte der 80er Jahre wuchs bei mir der Wunsch und begann das Interesse für die
Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Dabei waren es keine gemeinsamen künstlerischen Arbeiten, sondern es waren die Auseinandersetzungen über die Funktionsweisen der Kunst, die Klarmachung von Produktionsbedingungen, denen ja immer künstlerische Inhalte zugrunde liegen bzw. sie ablesbar machen. Sowohl viele dieser damaligen Freundschaften, wie auch die tiefe Skepsis gegenüber dem Kunstbetrieb sind geblieben.

Geblieben sind aber auch seither viele unterschiedliche
gemeinsame Projekte mit Künstlerkollegen aber auch mit Menschen, die sich außerhalb des Kunstmilieus befinden, wie zum Beispiel Naturwissenschaftler. Es führte uns zusammen, eben jene tiefe Skepsis gegenüber dem gängigen Ausstellungsbetrieb, seinen Spielregeln, Konventionen und versteckten spießigen Gesetzmäßigkeiten. Man suchte nach Möglichkeiten, nicht die Kunst oder den Werkbegriff zu retten, aber doch die Idee des Werkes unmittelbarer erfahrbar zu machen.

So entstand nicht nur die Suche nach neuen unverbrauchten Orten, sondern auch nach
gesellschaftlich funktionierenden Ritualen. Und natürlich ist dies die wesentliche Strategie, nämlich die Befragung des Kontextes und der möglichen Diskursivität des Werkes. Es entstanden parallel dazu Fragen zur künstlerischen Eroberung des öffentlichen Raumes und zur Autonomiefrage des Künstlers. Daraus wiederum entstanden reale künstlerische Lösungen: nämlich anonyme Interventionen, in denen ein Ort für die Kunst außerhalb von institutioneller Bindung behauptet wurde. Kunst im öffentlichen Raum nannte man es später.

Potentiell konnte somit
jeder Ort ein Ort der Kunst werden. Ob es nun Baustellen waren, Straßengullys oder die Fisch-Tiefkühltheke bei Karstadt inklusive Verkäuferin. Die Form der Veröffentlichung des Werkes konnte unterschiedlich sein, und all dies wurde somit zum Bestandteil der Arbeit. Es wurden verschiedene Formen der künstlerischen Strategien erprobt: Strategien des Einschleusens, der Simulation, der Camouflage, der Täuschung und Ent-Täuschung. Realität wurde künstlerisch ein zweites Mal inszeniert, wobei die Poetisierung der Alltäglichkeit, eine poetische Verflechtung eine große Rolle spielte.

Das
Büro Berlin war ein wesentlicher Ort des künstlerischen Austausches untereinander. Das Büro Berlin war Selbstorganisation, Erprobungsraum, Austausch und Diskursivitätsplattform und manchmal war es tagelang, trotz guter Absichten, einfach nur eine gute Bar mit Getränken, an der Anekdoten ausgetauscht wurden. Eine diskursive Situation war hier nie rein sprachlich, sondern sie war immer geprägt von einer konkreten künstlerischen Praxis, eines realen künstlerischen Problems. Man war ständig mobiles Einsatzkommando und Parallelentwicklungen wie Kunstmarkt und Ausstellungswesen wurden genauestens registriert, aber gleichzeitig äußerst relativierend wahrgenommen bis ignoriert.

Die Blicklenkung , der Blick der Begierde, organisierte sich weg vom damals gerade boomenden Bilder-Kunstmarkt hin zu peripheren Situationen und nicht beachteten Orten. Bei diesen Arbeiten tauchte ein wesentliches Problem erst gar nicht auf und erleichterte einiges. Es gab einfach
nichts zu vermarkten. Das war ein wenig dumm, denn Geld braucht man immer. Künstler haben aber andererseits immer wieder an einer Kunstpraxis gearbeitet, bei der die Vermarktung gebremst oder erschwert wird. Dies sollte man sich genauer ansehen, denn dies findet zu wenig Beachtung. Warum, so frage ich mich, wird eigentlich diese künstlerische Ebene von Kunsthistorikern so wenig registriert?

Seit damals, aber heute noch erheblich stärker, habe ich ein tiefes Misstrauen gegenüber zentral ausgerichteten Bewegungen. Diese sind fast immer gleichzusetzen mit den Repräsentativen, dem gegenüber ich ein noch viel größeres Misstrauen habe, weil es künstlerische Inhalte verkleistert, es lenkt ab. Die Skizzierung dieser Situation hat für mich immer noch etwas Prototypisches, das heute so möglicherweise nicht anzuwenden ist. Aber die Grundzüge dieses künstlerischen Handelns enthalten für mich Gültigkeiten, so denke ich, die noch heute mein Handeln bestimmen.

Ein Beispiel: Eine Arbeit von mir „Die Tropfsteinmaschine“ war zunächst als ein
Gegenentwurf gedacht, der dahin zielte, eine langfristige skulpturale Arbeit außerhalb von regulierenden Institutionen sich vorzustellen. Eine Art ironische Wendung geboren aus der Kunsterfahrung der ersten Jahre. Es war auf Einladung des Büro Berlin der Wunsch geäußert worden, eine Arbeit als eine Art UFO zu beschreiben, also etwas Utopisches zu entwerfen, das sich der Wirklichkeit entrückt, das sich weit außerhalb von irgendwelchen institutionellen Bindungen denken und realisieren lässt. Das Ufo sollte stets fiktional bleiben und niemand sollte wissen, wann und wo es landet. Das Ergebnis meiner Überlegungen war eben jener Entwurf für eine Tropfsteinmaschine, die in einer Laufzeit von 500 Jahren einen ca. 5 cm hohen Stalagmiten und Stalaktiten als skulpturale Ablagerung hinterlassen sollte.

Es handelte sich zunächst um ein reines Gedankenmodell, d. h. nicht anwendbar und schon gar nicht zu vermarkten.
Paradoxerweise war es nun nach einiger Zeit eine museale Institution, nämlich die Hamburger Kunsthalle, die mir die Möglichkeit gab, in der Galerie der Gegenwart dieses Projekt nun wirklich jenseits vom Kunstmarkt zu realisieren. Von diesem ersten veröffentlichten Entwurf bis zur Realisierung waren es fast 10 Jahre kompliziertester, sozialer, logistischer, bautechnischer, naturwissenschaftlicher Umsetzungsarbeit bis dieses Projekt realisiert werden konnte. Dieses Projekt absorbierte den größten Teil meiner Zeit und meiner Energie.

Nun tropft es seit 5 Jahren, und das Ergebnis werde ich, werden wir alle, die wir hier sitzen, nicht mehr erleben und genau dieser Tatbestand beispielsweise, diese Verschwendung und Verwendung von Zeit beruhigt mich irgendwie sehr. Das Museum als Ort ist ja ein relativ junges Unternehmen nämlich ein ca. erst 200 Jahre altes Phänomen der ständigen Vergegenwärtigung von ästhetischen Werten, von visueller Wahrnehmung, von Geschichte, das heißt vom permanenten Wechsel zwischen Bruch und Kontinuität, als Ort von großer Schönheit, aber auch von großem dramatischem Scheitern.


Ich denke, man muss sich zuallererst die kulturelle Lage vergegenwärtigen, in der wir uns befinden, um dann
ein Verhältnis zum Kunstbetrieb zu bekommen.

Der symptomatische
Statuswechsel des erfolgreichen Künstlers vom Genie zum Star zeigt einen kompletten gesellschaftlichen Bedeutungs- und Funktionswechsel, wie er sich im Kunstbetrieb abzeichnet. War der Begriff des Genies, also eines erhabenen gottähnlichen Wesens, für jeden aufgeklärten und klar denkenden Menschen schon eine ziemliche Zumutung, über die man allerdings mit einer gewissen Sympathie lächeln konnte, so ist die gesellschaftliche Zuordnung des Künstlers zum glitzernden Star atemberaubend blödsinnig und in der Konsequenz äußerst kunstfeindlich und ordinär, da die Kunst selbst zweitrangig wird.

Sie wird zum „konservation-piece “ degradiert und das geschwätzige Reden darüber sowie die Vermarktung nach Möglichkeit in alle Nischen des Life-Style wird die eigentliche Arbeit. Die hippesten Ausstellungen der Neunziger Jahre waren Kunst + Mode, Kunst + Design, Kunst + Werbung, Kunst + Boulevard, Kunst + Sensationen, Kunst + Wirtschaft - man könnte es auch fortsetzen mit Ausstellungen wie „The Art of Motorcycles“ oder „The Art and Mythos of Mercedes“ oder „Let´s have a party“ oder „That´s entertainment“ oder eine Ausstellung mit dem Titel „Talk-Show“. Wenn dann einige Schlau-Meier diese reine Spiegelung dessen, was geschieht, d. h. eine Art
tautologisches Verhalten, dann auch noch als vermeintliche Kritik an einer Gesellschaft ausgeben, dann sind dies Taschenspielertricks, über die sich nur der Getäuschte wundert. Anpassung und tautologisches Verhalten werden hier belohnt, allerdings scheint mir der Zenit dieses Verfahrens erreicht. Die Gewöhnung an die Formen der Banalisierung ist unzweifelhaft ein Anpassungsreflex an die Massenkultur, der Zerstreuungsindustrie, es ist eine anbiedernde Verbeugung vor den Massen.



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Der Künstler als Star will vor allem geliebt werden. Das ist der Reflex des Darstellers. Es geht somit um die exzellente Darstellung und nicht unbedingt um das Authentische der Dinge. Auf die Weise findet eine eigenartig überhöhte und überholte Realismus-Debatte statt. Andererseits ist es aber auch der Reflex des „Kinderzimmers“, der von der Autorität, den Eltern, geliebt werden will. Nur so lässt sich für mich eine große Anpassungstendenz in der Kunst erklären, deren Interesse mehr jene Anpassung ist und weniger die Formulierung von Differenzen. Die Massenkultur, dieser misslungen geklonte fette Zwilling der bildenden Künste, nimmt aber immer mehr Raum ein, verstellt Situationen, beschleunigt und verspricht alles mögliche.

Wir, die bildenden Künstler, sind nicht mehr alleine wie vielleicht noch vor 200 Jahren mit dem Entwurf von Bildern einer Gesellschaft beschäftigt. Darüber gibt es nichts zu jammern. Es existieren diese beiden Klassen einer visuellen Kultur. Dieser Tatbestand, diese Bilderflut vom Internet über alle möglichen täglich millionenhaft erzeugten Fotografien, bringt eine vollkommen andere Lage, auch für die Museen und Kunstvereine: die Wahrnehmung von Bildern, das Fressen der Bilder hat sich stark verändert und wird sich noch radikaler verändern.

Ein durchschnittlicher zwanzigjähriger Zeitgenosse ist in der Lage, eine Unmenge von Bildern in kürzester Zeit aufzunehmen, sie zu vernetzen, zu kombinieren, in den Medien zu surfen. Er besitzt die Fähigkeit, kreuzmodule Assoziationen herzustellen, um von dieser Verbindung wieder zur nächsten assoziativen Bildkombination zu springen. Er besitzt ein hoch ausgeprägtes, weil trainiertes fotografisches Gedächtnis. Der Begriff des Flaneurs, wie ihn Walter Benjamin für das urbane Milieu des 20. Jahrhunderts geprägt hat, hat sich auf diese Weise radikalisiert.

Es radikalisiert sich aber auch zunehmend die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Bildern, nach der Manipulation von Bildern. Wann ist ein Bild echt, wann ist es schön, wann ist es wahrhaftig, wann stimmt es? Wann haben wir es mit dem Tatbestand der offensichtlichen oder vorsätzlichen Lüge, wann mit einer Täuschung der Wahrnehmung zu tun. Ich glaube, dass das Lesen von Bildern, die Fähigkeit einer präzisen Wahrnehmung immer lebensnotwendiger und lebensentscheidender wird. Wir bewegen uns auf eine rein glotzende Gesellschaft zu. Die Frage heute lautet nicht „was tust du?“ sondern „was guckst du?“
Aus dieser Analyse einer Gesellschaft und nicht aus der Analyse dieses etwas doch verengten und angeberischen Kunstbetriebes ergeben sich für mich die Konsequenzen, d. h. die künstlerischen Strategien.

Und um es noch mal klarzustellen: künstlerische Strategien haben mit Vermarktungsstrategien nicht das Geringste zu tun. Im Grunde genommen sind sie erbitterte Gegner. Wir, die Künstler, aber natürlich auch die Kunsthistoriker und Kuratoren sind mit der Erstellung von Bedeutung beschäftigt. So ist es möglich, etwas zunächst vollkommen Unbedeutendem, vielleicht Alltäglichem eine Bedeutung zu geben. Das ist die Aufgabe der Kunst, um dies aber zu tun, muss man hin und wieder dem Zeitgeist der Gesellschaft den Krieg erklären. Die Bedeutungs- und Definitionsmacht der Künstler ist aber zunächst rein immaterieller, geistiger Natur. Dieser Zustand, der so lange wie möglich gehalten werden muss, kann aber niemals repräsentativen Charakter haben.


So sehe ich die Definition der Kunst auch eher als eine Art Grundlagenforschung. Ich vermute im Übrigen, dass Kunst schon immer so etwas wie Grundlagenforschung war, die vielleicht früher oder später eine Vermarktung erfährt. Sieht man sich allerdings beispielsweise die Teilchenbeschleunigungsanlage „Daisy“ an, die von Physikern in Hamburg betrieben wird und die sich tief unter der Erde in einem Durchmesser von 50 km befindet, und tauscht sich mit diesen Physikern aus, so stellt man eine Parallele fest. Diese naturwissenschaftliche Grundlagenforschung hat auch ihre Probleme mit der mittlerweile früh einsetzenden und zweckorientierten Vermarktung der Naturwissenschaften, denn eine freie Forschung im Grundlagenbereich wird anscheinend immer mehr gezwungen, sich zu legitimieren. Die schnell einsetzenden Vermarktungstendenzen sind auch hier flächendeckend.

Wenn sich der Chaosforscher Otto Rössler in seinen Abhandlungen auf die freien, nicht linearen Prinzipien der Kunst bezieht, werden ihm diese Analogien, diese Beweise aus der Beobachtung von Kunstphänomenen von seinen Kollegen teuflisch übel genommen, weil er einen anderen
Referenzrahmen mit einbezieht. Und genau hier sehe ich einen möglichen Weg, sich von diesen eindimensionalen Gesellschafts-Erfolgsspielchen wegzubewegen, die doch nur immer das gleiche Dekor bestätigen wollen. Durch eine Erweiterung des Referenzrahmens, bzw. durch das Insistieren auf einen anderen Referenzrahmen, wie es ja auch schon immer von einigen Künstlern betrieben wurde, besteht eine vollkommen andere Behauptungsführung, eine anders differenzierte Bewertungsskala.

Ich glaube, man muss sich hier alles
immer wieder neu erfinden und sich eine Analyse von neuen Entscheidungs- und Spieltheorien überlegen. Es wäre naiv zu glauben, man könnte dies alleine, das geht wiederum nur in einem Gemeinsamen, einer Vernetzung. Und man sollte versuchen, in Zusammenarbeit mit möglicherweise Betriebsfremden einen Austausch zu beginnen, in dem die künstlerischen Ansprüche anders gesetzt werden, denn die Vereinzelung des Künstlers ist nur in einem Austausch, in einer ständigen Auseinandersetzung zu ertragen. Diese neuen und zeitweisen Zusammenarbeiten sind es, von denen ich glaube, dass sie eine Fundamentierung eines künstlerischen Werkes ermöglichen, das sich distanzierter zur Vermarktung verhält.

Abschließend noch ein letzter Gedanke: Vielleicht werden aber auch die wirklich großen und extremen Schöpfungsprozesse in
Zukunft nicht mehr von bildenden Künstlern betrieben, sondern von der Genmanipulation, genauer gesagt von den Biologie-Designern. Es ist ja so, dass die Verführung heute darin besteht, dass Bildermachen auf den menschlichen Körper zu übertragen, um es dort real zu vollziehen und somit nicht neue Bilder zu erfinden, sondern neue lebende Körper. Und es scheint, dass jung sein und jung bleiben, - also die Unsterblichkeit, - als der große Traum dieser Gesellschaft gilt. In dieser Hinsicht ist meiner Meinung nach der Künstler, die Kunst, die Museen so anziehend für viele in dieser Gesellschaft geworden, weil jeder ein Stück dieses Traumes, ein Stück von der Kunst, ein Stück dieser Unsterblichkeit besitzen will. Die Kunst aber ist die nicht effiziente Verkettung von Ursachen und Wirkungen, von Reflexen und Sehnsüchten, von Leiden und Erlösungen sowie von einer Dynamik des Paradoxen. Die Kunst besteht darin, jung zu sterben, das aber so spät wie möglich.


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