Texte aus dem Jahr 1998
 

Seyfried und die Linien
von Hannes Kater

Es war die Zeit der Pubertät... und ich verliebte mich.
Ich verliebte mich in die Linie. In
Linien, wie ich sie hauptsächlich in Comics fand. Comics haben mit Träumen zu tun - träumend auf dem Bett liegen, so mit 14 oder 15. Mit Comics träumt es sich anders als mit Büchern. Wobei ich schon viel früher entdeckte, daß es bei den Disney-Comics dolle Qualitätsunterschiede und damit unterschiedlich taugliches Traummaterial gab.

Entscheidend waren (und sind) neben der Story natürlich die
Linien. Sie müssen fließen, dürfen aber nicht zu glatt sein. Sie müssen menschlich sein, in dem Sinne, daß sie nicht zu perfekt sind; sie brauchen Unvernünftigkeiten, Fehler - kurz: sie müssen eigenständig sein. In so einem Fall taugen sie zum Träumen, zum wortlosen Träumen, man folgt mit den Augen und den Gedanken den Linien und ist... ja, wo ist man da?
Schon meine Großmutter hat gerne
im Bett gezeichnet. Mehr hier

Nicht umsonst ist mein Bett
* einer der mir liebsten Produktionsorte geworden und geblieben. Und weil ich beim Zeichnen manchmal einschlafe, ist all meine Bettwäsche voller Flecken, Farbflecken - die unverschlossenen Filzer ... nebenbei: dies ist einer der Gründe, weshalb ich im Bett nicht rauche. Gründe nicht zu zeichnen gibt es eigentlich nur vier: Rauchen - die Hände sind beschäftigt -, Fernsehen -allerdings lerne ich langsam dabei zu zeichnen - , Liebeshändel und die Computerei.

Wenn ich vor dem Rechner sitze, der gerade eine 3D-Szene rendert, langsam rendert, weil er ein bißchen überfordert ist, dann kann ich ihm dabei schier endlos zugucken -
zusehen wie die Bilder werden, alle 10 Sekunden ein Millimeter mehr Bild werden. Dieses Sehen ist dem Liniengucken sehr ähnlich: eigentlich ist schon klar, was ist und wird, aber man muß beim Werden zusehen, den Linien zusehen, wie sie werden.

Mit 14, 15 fand ich also Linien in Comics und dort in dem bis dahin besten Stoff: Seyfried, Gerhard. “Wo soll das alles enden?” war die richtige Frage damals und für mich sowieso. Seyfried hatte gegenüber den üblichen Underground-Comics den Vorteil, daß er nicht so gewollt verwegen oder “undergroundig” sein wollte. Er war zu naiv, zu authentisch und so - auch durch seine
fehlende Eitelkeit - hatten seine Linien eine ganz eigene Ökonomie. Der nächste große Vorteil war, daß er keine Storys erzählen wollte (oder konnte - später hat er es versucht und ist gar nicht gut zu rande gekommen damit). Seyfried produzierte eigentlich Cartoons, die, zusammengefaßt in seinen beiden ersten Büchern, gleichwohl eine Geschichte erzählten und die auf die höchstwahrscheinlich beste Art. Viele Seiten aus seinem ersten Buch sehen aus, als seien sie aus unterschiedlich guten Fotokopien unterschiedlicher Generationen zusammengesetzt oder wie Flugblätter, wobei auf fast allen Flugblättern jener Zeit eben auch seine Zeichnungen auftauchten. Er ist bestimmt der meistgeklaute Zeichner Deutschlands und die, die ihn da für ihre Schülerzeitungen, AStA-Blättchen und Flugblätter benutzten, schienen davon auszugehen, daß man bei Seyfried klauen dürfe.

Die Melancholie seiner Zeichnungen - das Scheitern der Träume und Utopien der späten 70iger, frühen 80iger Jahre war schon in sie
eingezeichnet - schien niemanden zu stören oder aufzufallen. Er war der Chronist der Szene und erzählte er nicht nur die Geschichte der undogmatischen Linken, sondern wurde auch ein Teil von ihr.

Und so ist nicht verwunderlich, daß die Staatsmacht sich intensiv für ihn interessierte. Obwohl er häufig aus politischen Gründen verklagt und verfolgt wurde, waren seine Zeichnungen nie besonders kämpferisch.
Seyfried konnte nur zeichnen, was er selbst erfahren hatte, was ihn unmittelbar berührte. Die ironische Distanz, die sein Filter beim Zeichnen gewesen sein muß, wird ihm auch sonst nicht fremd gewesen sein: Was in einem Bericht der FAZ erst als Widerspruch erscheint, wenn ein “...harmlos waren seine Zeitungen nie...” im weiteren durch ein “...sein Witz ist niemals aggressiv...” ergänzt wird, kommt letztendlich in seiner Ambivalenz der Wahrheit ziemlich nah.

Besonders seine sanfte Melancholie eignet sich vorzüglich - den Inhalt im Hinterkopf - nur noch Seyfrieds Linien zu folgen. Ich konnte seine Zeichnungen immer wieder angucken, immer wieder mit den Linien sein - ohne daß ich hätte sagen können, was ich eigentlich sah. Dieses “
jamais vue” und das konspirative Element war die Stärke seiner Zeichnungen (und das ist das, was sich jeder Zeichner für seine Zeichnungen wünscht).

Im Gegensatz zu Zeichnern wie Waechter oder Gernhard bot Seyfried den Vorteil, daß er sich nicht auf den Bildungsbürgerkanon der “Neuen Frankfurter Schule” bezog, also niemanden mit dem zweifelhaften Bildungsbürgerquatsch behelligte. So waren Waechter und Co. in meinem Elternhaus noch durchaus angesehen, mit Seyfried wußten sie aber nichts mehr anzufangen. Vielleicht lag es daran, daß Seyfried mit “Knollennasen” arbeitete, also sehr stilisierte Gesichter und Köpfe benutzte, dafür aber um so detaillierter seine Figuren und Hintergründe ausstaffierte. Wenn er nicht gerade Polizisten zeichnete, gab es bei Seyfried nur individuelle Einzelfiguren, “...er hat
die reichhaltigsten Freundbilder geschaffen, und je portraitähnlicher die sind, um so allgemeiner werden sie erkannt und anerkannt.” ( F.W.Bernstein: “Seyfried zu Ehren”, vor 1986)

Seyfrieds Linie veränderte sich im Laufe der Zeit, er entwickelte seine eigene “Linie claire”, weit geschmeidiger als die Hergés, runder und weicher als bei den jungen Zeichnern der franco-belgischen Schule. Sein liebevolles, fast pedantisches
Lettering hatte wesentlichen Anteil daran, daß sich das Handlettering auch bei uns mehr durchsetzte. Auch ich veränderte mich, verlor Seyfried und die Linien aus den Augen, fing an zu malen. Ab und an fand ich in Buchläden nicht überzeugende Versuche von Seyfried “richtige” Comics zu machen. Was blieb war meine Lust am Zeichnen und der Hang, Anregungen dazu nicht im Kunstbetrieb zu suchen.

**  Ein Eintrag im weblog zu
Herrimen findet sich hier.
Inzwischen gibt es die (mindestens) erste Generation von Kunststuden-
ten, die den Namen Seyfried nicht mehr kennt - selbst linke AStA-Leute haben noch nie seinen Namen gehört. Also: guckt Euch Seyfried mal an. Und natürlich
George Herriman**. Und den ganzen Rest.

Hannes Kater
veröffentlicht in: Revision 1, hrsg. von Armin Chodzinski


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