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Ausschnitte aus: Subsystem der Kunst – Zeichnung als Medium
von Michael Glasmeier und Annelie Lütgens

[...] Heute nutzen Künstler den Computer auf vielfältige Weise
als Werkzeug, um unter anderem auch Zeichnungen herzustellen.
Walter Seitter
hat daran erinnert, dass man nicht von ungefähr
das Wort digital für die diskontinuierliche und letztlich skripturale Darstellungsweise eingesetzt hat: "Im Französischen gibt es das Adjektiv digital seit dem 18. Jahrhundert und es wird zur Bezeichnung aller möglichen Phänomene, die mit den Fingern zusammenhängen, herangezogen. Digital heißt nämlich wörtlich: fingerig. (...) Die Finger bilden einen Paradefall von Diskontinuität, den wir stets mit uns herumtragen, den wir uns jederzeit nicht nur vor Augen halten können, sondern den wir auch jederzeit motorisch in Bewegung und Aktion setzen können."*

Walter Seitter: Malerei war schon immer digital. In: Painting Pictures. Malerei und Medien im digitalen Zeitalter (Ausst.-Kat.) Kunstmuseum Wolfsburg 2003, S. 30
*** ..., die im Kunstbetrieb als Kunst verhandelt werden, ... (Ansonsten entstehen immer mehr Zeichnungen und Illustrationen nur noch am Computer).
** Der ersten Fotokopierer waren technisch nicht besonders ausgereift und wurden von Künstlern nicht nur zum Vervielfältigen, sondern auch zum Manipulieren (spielen mit dem Zufall) der Vorlage, eingesetzt.


**


Das Zeichentablet ist das Werkzeug, mit dem am Computer gezeichnet wird.
*  ? Internet wird auf Bildschirmen "sichtbar"...
So gesehen wäre die Zeichnung in ihrer "fingerigen" Erscheinung recht eigentlich zu sich selbst gekommen und die mouse als Verlängerung der Hand das ideale Werkzeug**, diese zu produzieren. In Wirklichkeit jedoch entstehen die wenigsten Zeichnungen*** am Computer mittels digitaler Bildprogramme oder Programmiersprache, sondern nach wie vor mit Stift und Pinsel auf Papier. Auf den Bildschirm und gegebenenfalls ins Internet* gelangen sie vermittels eines Scanners, des großen Gleichmachers und Bildaufzeichners, der, wie es zuvor nur der Fotokopierer konnte, alles, was man auf seine Oberfläche legt, ablichtet und visuell einebnet.**




***



Strichstärken sollten sich nicht ändern, zumindest nicht ungewollt und unkontrolliert... schließlich werden nicht nur KUNST-Kataloge, sondern auch Comics und Illustrationen für Zeitungen und Zeit-
schriften aus Dateien ausbelichtet
Dieser Angleichungsprozess so unterschiedlicher Zeichen-
materialien wie Bleistift, Aquarell, Filzer, Tinte oder Acrylfarbe
sowie der Verlust der haptischen Qualitäten verschiedener Papiersorten und Strichstärken
***, kurz gesagt: der Verlust der Aura des originalen Zeichnungsblattes mit seinen Bearbeitungsspuren des Künstlers, sprechen eigentlich gegen die Liaison von Zeichnung und Computer, nämlich dann, wenn man auf der spezifischen Einzigartigkeit der Zeichnung beharrt.*

Aber schon zu Zeiten, als Künstler den Fotokopierer entdeckten, entstand eine neue Variante der Zeichnung, nämlich copy art, die den Begriff des klassischen Originals neu definierte. Außerdem gewähren der Computer als Speicher- und das
Internet als Distributions- und Kommunikationsmedium dem Künstler nicht zuletzt eine gewisse Unabhängigkeit von den Mechanismen des Kunstmarktes. Die persönliche Website wird zum Schaufenster des Ateliers. Wer sie anschaut, kann an dem Produktionsprozess von Kunst teilnehmen, wenn beispielsweise jeden Tag eine neue Zeichnung ins Netz gestellt wird. Was früher in Mappen gesammelt oder unbeachtet auf dem Fußboden des Ateliers herumlag, frei nach dem jeweiligen künstlerischen Temperament, kann jetzt als Bildroman im digitalen Eigenverlag veröffentlicht oder als "Abfall für Alle" (so lautete 1998 der Titel des Internetagebuchs von Rainald Goetz) Fans und potenziellen Kunden zur Kenntnis gebracht werden. Der Computer als Notizblock, das Netz als Galerie.

* Was ist mit der Liaison der Zeichnung mit dem Holzchnitt und -stich, dem Kupferstich, der Lithografie und dem Siebdruck?
Ein Ergebnis dieser neuen Möglichkeiten ist der über alle früheren seriellen Formen des Zeichnens hinausgehende quantitative Exzess. Zeichnung ist an und für sich ein obsessives Medium. Wer viel und schnell zeichnet, wem Zeichnung als Handlungsprozess wichtiger ist als das einzelne "Werk", wer Zeichnen als visuelles Denken mit allen Umwegen und Abschweifungen begreift, der mag sich via Internet bei seinem Tun über die Schulter schauen lassen, und wir Betrachter, oder besser gesagt user, können an dem aufregenden Entstehungsprozess künstlerischen Denkens teilnehmen, ohne je eine Ausstellung des Künstlers gesehen oder seinen Katalog durchgeblättert zu haben. Im besten Falle entsteht dabei Lust auf die Begegnung mit dem Original.

Auf virtuellem Wege kann Zeichnung also exzessiv raumgreifend werden. Das Wuchern im virtuellen Raum des Internets ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Auch die analoge Zeichnung, so lässt sich in den vergangenen Jahren beobachten, wird exessiver. Sie will über das Blatt Papier hinaus direkt auf die Wand und von da aus Boden und Decke im realen Ausstellungsraum überwuchern. Und wie in einem spiegelverkehrten Prozess zur haptischen Unstofflichkeit ihrer Schwester im Netz erfindet sich die reale Raumzeichnung neue Materialien wie Plastikfolie oder Wäscheleine (+ Styropor). [...]

Aus: Zeichnung vernetzt – Drawing links. Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung in der Städtischen Galerie Delmenhorst 2004, S.16+17
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